2020-05-21 14:10

Home Office

Seit Corona findet das Arbeiten im Home Office eine große Verbreitung und wird teilweise kontrovers diskutiert.

Damals…

Meine ersten längeren Erfahrungen mit dem Arbeiten zu Hause hatte ich vor etwas über 10 Jahren. Damals war ich für einen Kunden im Einsatz, bei dem es in der IT eigentlich Standard war, vor Ort im (Großraum-)Büro zu arbeiten. Der Kunde hatte in seinem Kerngeschäft viele Außendienst-Mitarbeiter, dementsprechend war eine leistungsfähige Remote-Infrastruktur mit Notebooks, VPN und Terminalservern bereits vorhanden. In der IT war das jedoch kein übliches Arbeitsmodell.

Wegen einer medizinischen Ausnahmesituation in meinem privaten Umfeld bekam ich die Möglichkeit, etwa ein halbes Jahr lang zu ca. 50% zu Hause zu arbeiten. Ein Kundennotebook und VPN Zugang hatte ich bereits, wegen gelegentlicher Remote-Wartungsarbeiten und Rufbereitschaften. Technisch musste nur noch mein internes Festnetztelefon auf das Handy umgeleitet werden.

Die Arbeit zu Hause war anfänglich ungewohnt; gar nicht mal so sehr für mich, weil ich wegen diverser privater Aktivitäten und Mitarbeiten in Projekte ohnehin viel Zeit im Arbeitszimmer und mit digitalen Kommunikationsmitteln verbringe. Irritierend war es hauptsächlich für andere, z.B. beim Anruf meiner internen Telefonnummer auf ein Handy weitergeleitet zu werden. Viele legten sofort wieder auf oder entschuldigten sich zuerst für die Störung im Urlaub. Durch die Arbeit im Home Office hatte ich das Gefühl, erst recht dauerhaft erreichbar sein zu müssen, und nahm zu jedem Schritt auf die Toilette oder zum Kaffeeautomaten das Handy mit. Dennoch ging die Zahl der Anrufe stark zurück, die Kommunikation verlagerte sich auf E-Mails und das Ticketsystem.

Nach einiger Zeit stellte ich fest, dass schnelle Prozesse mit viel Interaktion im Home Office zwar schwieriger, langfristige konzeptionelle Arbeiten aber leichter wurden. So konnte ich in dieser Zeit viel Dokumentationen erstellen und an Priorität-C Themen arbeiten, die im Büro oft liegen blieben. Hinzu kam der Zeitgewinn durch den Wegfall langer Fahrzeiten, bei mir damals knapp 90 Minuten pro Weg. Am Ende dieser Zeit bedauerte ich es, wieder täglich ins Büro fahren zu müssen, auch wenn der Wegfall des Anlasses für das Home Office natürlich eine Erleichterung war.

…und heute

Vor gut drei Jahren gab es eine Änderung in der Beauftragung. Ich arbeitete für den früheren Kunden nicht mehr in Vollzeit, sondern zunächst mit 50%, bis Mitte letzten Jahres die Beauftragung ganz zu Ende war. Statt dessen arbeitete ich für andere Kunden, zeitweise parallel für vier weitere, hauptsächlich im Home Office mit gelegentlichen Terminen vor Ort. Das Arbeiten zu Hause war keine große Umstellung mehr, der ständige Kontextwechsel zwischen den Kunden und Themen allerdings schon.

Seit einem Dreivierteljahr arbeite ich nun wieder in Vollzeit für einen Kunden. Die Arbeit erfolgt vollständig zu Hause, wahlweise hätte ich auch die Möglichkeit, in die Niederlassung meines Arbeitgebers zu fahren. Dort bin ich selten, hin und wieder mal zu einer Besprechung, einer Feier oder um Post abzuholen. Beim Kunden fanden in unregelmäßigen Abständen Workshops oder Besprechungen an einem Standort des Kunden statt, meist in Frankfurt am Main, was recht gut in der geographischen Mitte der am Projekt Beteiligten liegt. Seit Corona wurden jedoch auch diese Termine durch Telefonkonferenzen ersetzt.

Digitale Nomaden?

Vielfach wird der “digitale Nomade” so dargestellt, dass man lediglich ein Notebook, ein Handy und einen Internetzugang braucht und dann überall auf der Welt an seinen Projekten arbeiten kann. In den Medien wird das oft untermalt mit Bildern von Leuten in Urlaubsparadisen, im Cafe am Strand bei einem exotischen Getränk und mit Sonnenbrille vor dem Macbook Air.

Diese Darstellung trifft zumindest bei mir überhaupt nicht zu. Die Kunden haben unterschiedliche Systeme und technische Anforderungen. In der Regel kann und darf man nur mit den technischen Systemen des Kunden auf dessen Netz und Daten zugreifen. Das beinhaltet auch Besprechnungen, die i.d.R. mit einer Kommunkationsplattform wie Skype for Business im Kundennetz stattfinden; die Teilnahmemöglichkeit per normalem Telefon ist eine Ausnahme.

So hatte ich zu Spitzenzeiten drei Kunden-Notebooks zu Hause, zudem das Notebook meines Arbeitgebers für administrative Tätigkeiten wie die Zeiterfassung. Da sich, abgesehen von rechtlichen Limitierungen, auch technisch keines dieser spezialisierten Geräte für meine privaten Arbeiten und Interessen nutzen lässt, kommt dazu noch ein privates Notebook. Aus ähnlichen Gründen liegen hier auch zwei Mobiltelefone, ein iPhone vom Arbeitgeber und privat ein Oneplus mit Android. Eines der Kundennotebooks arbeitet mit Mobilfunk und funktioniert theoretisch überall in Deutschland; das zweite benötigt einen separaten VPN Router und kabelgebundenes Internet, das dritte funktioniert nur mit WLAN.

Als ich im letzten Sommer einmal kurzfristig aus privaten Gründen meinen Arbeitsplatz für zwei Wochen in meine alte Heimat in Südbaden verlegen musste, umfasste das Gepäck vier Notebooks und Zubehör im Gesamtumfang von über 10kg. Mein kleiner Neffe staunte nicht schlecht über diesen Gerätepark und war enttäuscht, dass ich ihm nicht eines der Notebooks abgeben konnte.

Bei allen Unzulänglichkeiten bin ich dennoch froh, dass diese Mobilität mit entsprechender Planung überhaupt möglich ist. So ist es oft möglich, ein langes Wochenende in der alten Heimat mit einem Arbeitstag dort zu kombinieren, oder früh morgens eine anderen Geschäftsstelle des Arbeitgebers anzusteuern, um abends auf kurzem Weg einen privaten Termin in der entsprechenden Region zu erreichen.

Videokonferenzen

Seit Corona machen viele zum ersten Mal Erfahrung mit dem Home Office. Die Erfahrungen sind gemischt, neben vielen Vorteilen gibt es auch Kritik. Eine oft genannte Kritik ist die Beeinträchtigung der Privatsphäre der eigenen vier Wände durch Videokonferenzen. Viele finden es unangenehm, dadurch dem Kunden oder Arbeitgeber Einblick in ihre Privatwohnung zu gewähren oder ihre Kinder davon abzuhalten, durch das Bild zu laufen.

Den Sinn von Videokonferenzen habe ich nie verstanden. Bei den Kunden, für die ich tätig bin, wird in den Besprechungen nur Audio benutzt. Viele arbeiten ohnehin am externen Monitor, haben das Notebook zugeklappt und können daher gar keine Kamera benutzen. Neben der Audiokonferenz wird die Chatfunktion für kurze Erklärungen oder Weblinks genutzt, außerdem für eine Präsentation oder Arbeit an der Konsole der Bildschirm freigegeben.

Lediglich einmal habe ich kurz für die ersten Minuten einer Konferenz mein Kamerabild freigegeben. Die Konferenz wurde von mir moderiert und mit einem der Teilnehmer, dem Mitarbeiter eines Softwareherstellers in den USA, hatte ich bisher keinen persönlichen Kontakt. Daher erschien mir die Freigabe der Kamera als vertrauensbildene Maßnahme sinnvoll. Nach ein paar Minuten wurde ohnehin auf Bildschirmfreigabe umgeschaltet, denn das Ziel der Konferenz war die gemeinsame Arbeit an einer Softwareinstallation.

Ansonsten ist Video schlicht überflüssig. Die meisten Kollegen kennt man von den seltenen Workshops. Wenn man sie nicht kennt, haben sie meistens ein Foto im E-Mail- oder Chatsystem hinterlegt, oder man findet sich auf Xing oder Linkedin. Gerade bei schlechter Internetverbindung erhöht Video unnötig den Traffic und sorgt für schlechtere Latenzen der Audioverbindung. Ich habe den Eindruck, dass Video bei vielen nur benutzt wird, weil die Software es anbietet und es standardmäßig eingeschaltet ist. Oder weil die wenigen Teilnehmer, die noch in der Firmenzentrale sitzen, das dort vorhandene luxuriöse Telekonferenzsystem auf Großleinwand cool finden.

Vereinsamung

Ein anderer Kritikpunkt an Home Office ist die digitale Vereinsamung. Der persönliche Kontakt mit Menschen fällt weg oder ist durch Telefonie weniger intensiv. Auch die Verlagerung der Kommunikation auf E-Mail birgt eine Veränderung, manche Menschen klingen schriftlich ganz anders als im persönlichen Kontakt.

Dem kann ich teilweise zustimmen. Als sich mein Arbeitsplatz zunehmend ins Home Office verlagert hat, fehlte mir zwar der tägliche Austausch mit den Kollegen auch zu nichtdienstlichen Themen. Das ließ sich jedoch ganz gut kompensieren, indem man abends mehr weg ging. Hier in der Region Rhein-Ruhr gibt es viele Meetup-Gruppen zu interessanten Themen, Usergroups und natürlich Kultur- und Sportangebote. Statt des Gesprächs mit den Kollegen in der Betriebskantine trifft man sich abends auf Social Events mit Vorträgen und Networking bei Snacks und Getränken. Selbst mein eigener Arbeitgeber bietet mittlerweile ein offenes Meetup-Format an.

Durch den Wegfall des Pendelns zum Arbeitsplatz empfand ich die Umstellung insgesamt als positiv. Ein Nachteil ist allerdings, dass man verschiedene Events abends direkt vom Kunden in der Großstadt aus gut erreichen konnte, während man sich jetzt dafür in den Feierabend-Verkehr begeben muss.

Durch Corona sind die abendlichen Ausflüge schlagartig weggefallen. Einige, wie die Linux User Groups, wurden durch entsprechende Online-Konferenzen ersetzt. Die meisten Meetups, die ja von den Gastgebern auch wegen des Networkings und Socializings veranstaltet wurden, fallen aus, ebenso wie Konzerte, Vorträge oder Sportgruppen. Erst dadurch, nicht durch das Home Office selbst, kommt der Effekt der Vereinsamung auf.

Nach Corona

Bei aller Kritik kann man jedoch auch die Vorteile des Home Office nicht bestreiten. Den Wegfall der Pendelstrecken und -zeiten habe ich ja schon genannt; bei einigen Arbeitnehmern kommen da gewaltige Zeiten zusammen. Bei mir waren es elf Jahre lang täglich drei Stunden Reisezeit, mit den acht Stunden Arbeit plus Mittagspause war ich fast 12 Stunden außer Haus. So sehr ich den Kunden, die Kollegen und die Arbeit auch gemocht habe, das Pendeln möchte ich nicht zurück. Hinzu kommen ökologische und ökonomische Vorteile. Viele müssen ja die Fahrtkosten zumindest teilweise aus eigener Tasche bezahlen. Weniger Pendeln bedeutet auch weniger Energieverbrauch, Staus, Lärm, CO2-Ausstoß und weniger Unfälle.

Den Hauptvorteil in der aktuellen Situation sehe ich aber darin, dass viele Arbeitnehmer überhaupt zum ersten Mal die Möglichkeit bekommen, Home Office auszuprobieren. Die Corona-Krise wird hoffentlich bald vorbei sein, und auch wenn nicht alle ihren Heimarbeitsplatz beibehalten wollen, hat sich zumindest gezeigt, dass das in vielen Berufen möglich ist und funktioniert. Weder das Internet noch die Mobilfunknetze sind bislang nennenswert zusammengebrochen, was auch zeigt, dass die Infrastruktur für Home Office prinzipiell vorhanden ist. Man stelle sich die Corona-Krise vor 10 oder 20 Jahren vor… Letzlich wird der Druck auf die Arbeitgeber steigen, mehr Mitarbeitern als bisher Home Office anzubieten und ihnen mehr Gestaltungsmöglichkeiten bei der Wahl des Arbeitsplatzes zu lassen. Und das ist an der aktuellen Krise fast das einzig gute.